Die Eingemeindung von Obersulmetingen

Archivalie des Monats Mai 2025

Im Zuge der Gemeindereform in Baden-Württemberg schlossen sich die Gemeinden Baustetten und Untersulmetingen freiwillig am 1. Januar 1972, gefolgt von Bihlafingen am 1. April 1972 an die Stadt Laupheim an und wurden zu Stadtteilen. Obersulmetingen, damals mit 931 Einwohnern, widersetzte sich jedoch entschieden der Eingemeindung. Als selbstständige Gemeinde im Oberamt Biberach wollte Obersulmetingen seine Unabhängigkeit bewahren. Diese wahrlich spektakuläre Eingemeindung Obersulmetingens jährt sich im Jahr 2025 zum 50. Mal. Hier ein Rückblick auf die damaligen Ereignisse.


Das Ortswappen von Obersulmetingen


Das besondere Gemeindereformgesetz in Baden-Württemberg führte zu einer umfassenden Gemeindereform. Ziel dieser Reform war es, leistungsfähigere Gemeinden zu schaffen, indem größere Verwaltungseinheiten gebildet wurden. Die damalige Landesregierung aus CDU und SPD war davon überzeugt, dass diese größeren Einheiten effizienter arbeiten würden. Infolgedessen verringerte sich die Zahl der Kommunen von 3.379 zu Beginn des Jahres 1968 auf 1.111, was einem Rückgang von etwa zwei Dritteln entspricht.

Bevor eine Gemeindezusammenlegung vereinbart oder durch Gesetz beschlossen werden konnte, war in den betroffenen Gemeinden eine Anhörung durchzuführen. Bei Eingliederungen fand diese Anhörung nur in der einzugliedernden Gemeinde statt. In vielen Fällen ergab sich bei hoher Beteiligung eine Ablehnung von über 90 %. In Obersulmetingen wollte man eine solche Anhörung gar nicht erst stattfinden lassen. Die Gemeinderäte aus Obersulmetingen erklärten damals, dass sie aus Gewissensgründen nicht an dieser Anhörung teilnehmen würden. Besonders der damalige Bürgermeister Obersulmetingens, Hans Schantel, fuhr dabei besonders harte Geschütze auf. Er warf Landrat Dr. Wilfried Steuer und Innenminister Schiess parteipolitische Motive für die Auflösung der kleineren Gemeinden vor.


Der damalige Bürgermeister von Obersulmetingen, Hans Schantel, wurde wegen seines Kampfs gegen die Eingemeindung bald zu einer überregionalen Berühmtheit. Von Ihm stammt z.B. folgendes Zitat:

„Die CDU braucht die Reform, um sich auf dem Lande durch größere Verwaltungseinheiten Pfründen gegen parteilose Kommunalpolitiken zu sichern, weil die SPD fest in den Städten sitzt“


Um die Willensstärke der Obersulmetinger zu unterstreichen, verwies er dabei unter anderem auf die besondere Geschichte des Ortes Obersulmetingen. 1100 Jahre lang habe der Ort Pest, Hunger und Krieg überstanden und 1829 sogar einen Prozess gegen den Fürsten von Thurn und Taxis gewonnen, der die Ernteabgabe erhöhen wollte. Auch Politiker, die sich nun profilieren möchten, könne der Ort überstehen.

Schantel erlangte schnell überregionale Bekanntheit. In einem Bericht der Südwestpresse aus dem Jahr 1974 wurde er als „selbstbewusster, kämpferischer, bauernschlauer, dickschädeliger Schöngeist“ beschrieben.


Schlagzeile aus der Stuttgarter Zeitung vom Januar 1974. Hier wird der raue Ton den Hans Schantel einschlug ziemlich deutlich


Der erste Versuch des Biberacher Landrats Wilfried Steuer, die vorgeschriebene Bürgeranhörung abzuhalten, wurde zunächst rechtlich auf den 10. Februar 1974 verschoben. Die Presse sprach von einer „Revolution“, als es 250 Demonstranten trotz Polizeieinsatzes gelang, die Bürgeranhörung zum zweiten Mal vor dem Obersulmetinger Rathaus zu verhindern. Sogar das ZDF und die Bild berichteten über diesen Aufstand. Vergleiche mit dem gälischen Dorf Aremorica aus den Asterix-Comics blieben natürlich nicht aus.


Die vor dem Rathaus versammelten Bürger Obersulmetingens bei der Verhinderung der Anhörung


Bericht aus der „Bild“ über den Wiederstand Obersulmetingens


Da eine Bürgeranhörung nicht möglich schien, griff man im März 1974 zur Briefwahl. Schantel kritisierte diese Entscheidung scharf und bezeichnete sie als „ungeheuerlich“, da sie die Möglichkeit zur Manipulation biete. Der Obersulmetinger Gemeinderat reagierte darauf mit einer ungewöhnlichen Strategie: Er rief die Bürger dazu auf, gar nicht erst an der Wahl teilzunehmen. Folglich wurde kein einziger Briefwahlzettel abgegeben. Stattdessen warfen die Wahlberechtigten ihre Wahlunterlagen entweder direkt in die Altpapiersammlung oder verbrannten sie medienwirksam. Dieser dritte Anlauf für die Bürgeranhörung scheiterte somit ebenfalls.


Die medienwirksame Verbrennung der Briefwahlunterlagen.


Innenminister Schiess erklärte die Bürgeranhörung trotz der nicht vorhandenen Beteiligung für rechtsgültig. Entscheidend sei seiner Einschätzung nach nicht, ob jemand zur Anhörung gehe, sondern dass die Bürger die Möglichkeit hätten Ihre Meinung zu äußern. Ein Recht von dem in Obersulmetingen niemand Gebrauch gemacht habe. Bürgermeister Schantel und der Gemeinderat legten daraufhin Klage beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein.

Am 14. Dezember 1974 wurde die Klage jedoch abgewiesen, da der Ort mit knapp 900 Einwohnern als zu klein für die Selbstständigkeit eingestuft wurde. Damit war das Schicksal der Gemeinde besiegelt und Obersulmetingen wurde am 01.01.1975 als letzter Stadtteil von Laupheim eingemeindet.


Die am 31. Dezember 1974 gedruckte Todesanzeige der Gemeinde Obersulmetingen


Mit einer Todesanzeige die am 31. Dezember 1974 in der Lokalausgabe Laupheim der Schwäbischen Zeitung veröffentlicht wurde, verkündeten „Bürgermeister, Gemeinderat und Bürgerschaft“ der ehemaligen Gemeinde Obersulmetingen im Kreis Biberach den „Reform-Tod“ des selbstständigen Gemeindewesens. Die Anzeige, die sich über vier Spalten erstreckte, kritisierte die Landesregierung und den Landtag von Baden-Württemberg dafür, dass sie die „Auslöschung“ ihrer Heimatgemeinde Obersulmetingen (853-1975) genehmigt hätten. Die Bürger, die mit dem Boykott der öffentlichen Anhörung zur Gemeindereform und mit der Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg versucht haben die Eingemeindung nach Laupheim zu verhindern, stellten in der Anzeige ausdrücklich fest: „Uns bleibt die Ehre, dass keiner von uns daran mitgewirkt hat.“


Bericht der Schwäbischen Zeitung zum Abgang von Hans Schantel. In diesem Bericht lässt Schantel dem Kampf Obersulmetingens gegen die Eingemeindung nochmals Revue passieren.